Die historische Entwicklung der

WARENHÄUSER IN WIEN

1865–1945

Die Typologie des Warenhauses in Wien liegt in der Tradition der Europäischen Warenhäuser, die maßgeblich von der Entwicklung in Paris geprägt worden sind.

Paris war Ende des 19. Jh. „die“ Metropole in Europa mit den Kennzeichen einer dynamisch wachsenden Großstadt, mit moderner Infrastruktur und der notwendigen kaufkräftigen „Masse“ (Paris hat 1866 schon mehr als 1,8 Mio. Einwohner, währenddessen Wien nur knapp über 500.000 Einwohner hatte).

Im Gegensatz zu dem angelsächsischen Typus des Warenhauses, der sich ursprünglich zu Beginn des 19. Jh. aus dem Lagerhaustypus entwickelt hat, setzt der europäische Typus auf die Kunst der architektonischen Inszenierung.

Die Kunst der Inszenierung

Im Hintergrund der Halle war eine der dünnen gußeisernen Säulen, die das Glasdach trugen gleichsam in ein Geriesel von Stoffen gehüllt, ein wallender Wasserfall, der sich von oben herab, immer breiter werdend, bis auf den Parkettboden ergoß. Da sprudelten zunächst helle Atlasse und zartfarbene Seiden hervor: Satin á la reine und Satin renaissance in den Perlmuttertönen von Quellwasser, die leichten Seiden, durchsichtig wie Kristall, nilgrün, indischhimmelblau, dijonröschenrot, donaublau. Dann folgten kräftigere Gewebe, Merveilleux, Satin Duchesse, warme Farbtöne, die in stärker schwellenden Wogen dahinrollten … inmitten eines tiefen Bettes aus Samt schwarz, weiß, farbig, solche mit eingepressten Muster auf einem Grund von Seide und Atlas, die mit ihren schillernden Flecken einen reglosen See bildeten, darin die Spiegelungen von Himmel und Landschaft zu schwanken schienen. Bleich vor Begierde beugten sich die Frauen vor, als wollten sie ihr Bild darin erblicken … “

Emile Zola, Paradies der Damen, 1882

Diese Warenhäuser waren als Ort der Verführung gedacht und die Architektur sollte mit ihren Mitteln diese Raumstimmungen erzeugen.

Großzügige, mit aufwendigen Glaskonstruktionen überdachte hallenartige Räume, die durch zentrale und komplexe Stiegenanlagen erschlossen wurden, werden zum Schauplatz der Repräsentation des aufstrebenden Bürgertums. Das Pariser „Bon Marché“ wurde zum Vorbild vieler Warenhäuser, die Mitte der 2. Hälfte des 19. Jh. in Europas Hauptstädten entstanden.

Besonderheiten des Wiener Warenhauses

Die Entwicklung in Wien fand etwas verzögert statt, der Wiener Handel war in der zweiten Hälfte des 19. Jh. noch vorwiegend kleinbetrieblich strukturiert und die großen Warenhäuser fassten langsam gegen den erbitterten Widerstand der „mittelständischen Unternehmen“ Fuß.

Eine Besonderheit der Wiener Waren- und Geschäftshäuser war die starke Fokussierung auf die Bekleidungs- und Textilbranche. Diese Branchen waren die treibende Kraft für die Entwicklung des Warenhausbaues.

Durch die notwendige Unterbringung von großflächigen Verkaufsräumen in den Waren- und Geschäftshäuser wird die Gebäudetypologie des Historismus zwangsläufig verändert. Die Notwendigkeit von räumlich attraktiven, mit Tageslicht durchfluteten Räumen führt zur konstruktiven „Auflösung“ des Erdgeschosses, die Verwendung des neuen Baustoffes „Eisen“ ermöglicht diesen Anspruch.

Da jedoch im Wiener Historismus die vorherrschende Stilrichtung die Neorenaissance war, stellten sich durch die „Auflösung“ der Sockelzone des Hauses typologische Probleme. Die Neorenaissance geht von einem Konzept des Massebaues aus, in dem die Fassadengliederung symbolisch die Ableitung der Lasten darstellt.

Die Sockelzone der Häuser waren daher mit einer rustizierenden Basis (meist zweigeschossig) ausgeführt. Die Reduzierung der Pfeiler und die Vergrößerung der Auslageflächen führte jedoch dieses Konzept ad absurdum, denn plötzlich war das vormals „dichte“ Erdgeschoss fast völlig aufgelöst.

An Beispielen des Porzellanhauses Wahliss und des Haas Czjzek, wird ersichtlich wie sich die zweigeschossige Sockelzone, die eigentlich die massive Basis des Hauses sein sollte, plötzlich völlig auflöst.

Im Laufe der Zeit wurde daher neue typologische Lösungen gefunden, die nicht mehr nur das Tragen und Lasten zum Ausdruck bringen und die durch die Verwendung von vorgehängten Fassaden mit großen Glasflächen einen Ansatz zur Überwindung des Historismus darstellen.

Eine weiteres Merkmal der Wiener Waren- und Geschäftshäuser war ihre Integration in den städtischen Block. Es war im Regelfall also keine freistehende Solitärsituation, sondern eine Integration in den direkten urbanen Kontext notwendig. Die daraus entstehenden Einschränkungen bestimmten dann auch zu einem maßgeblichen Anteil die dazu notwendige architektonische Lösung. (Ecklösungen wie das Haas Haus, enge Grundstücksbreiten wie bei Haas & Czjzek, interne Überbrückungsgänge über ein anderes Grundstück wie bei Rothberger am Stephansplatz, etc.)

Ziel aller dieser Warenhäuser war jedoch ein lichtdurchflutetes Inneres mit einer, diesem Atrium zugeordneten, hoch repräsentativen Stiegenanlage, räumliche Großzügigkeit und „vornehme Materialien“.

An der Ecke, wo wir stehen, lassen riesige Krystallscheiben in ein reiches Warenlager sehen, das die kostbaren Teppiche und Gewebe, Indien überbietend, in fast verwirrender Fülle vor uns ausbreitet und enthält. Glänzender Marmor, geschliffener Granit, Gold und allerlei Zierat prangen an dem Haus, das nur ein einziges Warenlager in allen seinen Stockwerken ist, zwischen denen eine Maschine auf- und abwärtstragend verkehrt, und ein eigener galonierter Portier öffnet die Türe jedem Ein- und Ausgehenden. Das Haus hat seine Lager in allen Großstädten der Welt, der schlichte Name Haas prangt in Goldlettern darauf …

August Silberstein, Die Kaiserstadt am Donaustrand, 1873

Das erste Wiener Warenhaus

Das erste Warenhaus in Wien wurde von Philipp Haas am Stephansplatz 1865 begonnen. Die Architekten Siccard von Siccardsburg und Eduard van der Nüll haben ihre Erfahrungen aus dem Bau der Hofoper unter der Verwendung von „ eisernen Konstruktionen“ benutzt.

Die Warenhausbauten in Wien sind besonders durch Architekten geprägt, die aus dem Theaterbau kommen.

Alleine das Büro der Architekten Fellner und Hellmer hat unter anderem die Warenhäuser Rothberger I, Rothberger II, das Teppichhaus Schein und das Thonethaus geplant und errichtet. Ihr Umgang mit dem inszenatorischen Elementen des Theaterbaues, der räumliche Organisation von Stiegenanlagen zum „Sehen und Gesehen werden“ transponierten sie direkt in die Räume der Warenhäuser. Ebenso die konstruktiven Erfahrungen, großzügige, mit möglichst wenigen und grazilen Stützen ausgestattete Räume zu erzeugen.

Die Warenhäuser waren aber auch Räume, die „Modernität“ produziert haben, indem sie die neuen wirtschaftlichen und technischen Grundlagen der Massenproduktion und Dienstleistungen zu nutzen wussten. Ein wesentlicher Träger dieser urbanen Kultur sind Frauen, die nun in den Warenhäuser Räume der „öffentlichen Repräsentation“ vorfinden und die durch ihr Kaufverhalten und ihre Geschmacksurteile erst jene Bedeutungsgrundlagen schufen, welche die Warenwirtschaft benötigte.

Das Warenhaus ist also der Ort, in dem durch die Erfindung und ständige Neudefinition des „feinen Geschmackes“ die soziale Durchlässigkeit der modernen, urbanen Gesellschaft propagiert wird. Der Geschmack soll Rückschlüsse auf das Individuum und seine gegenwärtige Stellung innerhalb der Gesellschaft zulassen. Thorstein Verblen beschrieb 1899 in seiner „Theorie der feinen Leute“ dieses Phänomen des demonstrativen Konsums und wie in der entwickelten Industriegesellschaft Muße als Demonstration von Macht zugunsten des Konsums an Bedeutung verliert.

„Ware gegen Geld“ zu bieten war damit offensichtlich viel zu wenig. Die Warenhäuser haben daher nicht nur die neuesten Bautechniken und Materialen ihrer Zeit für die Architektur ihrer Bauten benutzt, sondern programmatische Erweiterungen in den Warenhäusern, wie Schreibclubs, Kaffeehäuser, Ausstellungs- und Diskutierräume, etc. eingeführt, die das Warenhaus zur „städtischen Bühne“ gemacht haben.

Das Bild des Fronleichnamsprozession von 1898 zeigt wie stark das Warenhaus (in diesem Fall das Warenhaus Rothberger II am Stephansplatz) als „öffentlicher Ort“ verstanden, und als urbaner Schauplatz genutzt wurden.

In den Auslagen des Warenhauses Rothberger II, wie auch in den Auslagen des daneben liegenden Warenhauses Kranner und Rothberher I stand, saß, versammelte sich die Gesellschaft Wiens, um von dort die Fronleichnamsprozession aus einer bevorzugten Perspektive zu beobachten.

Die Fassade des Warenhauses wird hier zur Schnittstelle zwischen dem Innenraum des Warenhauses und dem Außenraum der Stadt. Hier wird nicht nur von außen in die Auslagen hineingesehen, sondern auch von innen nach außen in die Stadt gesehen. Das Verhältnis wird dadurch umgekehrt und damit wird der Straßenraum zum erweiterten „Innenraum“ des Warenhauses. Die Fassade als perfekte Inszenierung des „Sehen und Gesehen werden“.

Der zweite Typus

Nach der ersten Welle der Gründung von Warenhäuser in der Innenstadt, die vor allem ein spezialisiertes Angebot für gehobene Konsumgüter wie Bekleidung, Einrichtung, etc. geführt haben, änderte sich mit der nächsten Gruppe an Warenhäusern, die sich ab Mitte 1890 in der Mariahilfer Straße niederließen und den Typus des selbstständig agierenden Handelshauses repräsentierten.

Als Beispiel sei hierfür das Warenhaus Gerngroß angeführt, das 1904 nach einem Umbau den Weg zum Großwarenhaus antrat. Neben einer Sortimentsausweitung äußerte sich dies vor allem in Billigangeboten in Form von Serienverkäufen bestimmter Produkte an jeweils einem anderen Wochentag, begleitet von einer massiven Inseratenkampagne.

Dies war auch die Phase, in der die Wiener Gewerbetreibenden und Kleinhändler einen Abwehrkampf gegen diese Großwarenhäuser begannen und eine 10%-Warenhaus-Umsatzsteuer forderten.

Die Einführung einer solchen Steuer wurde jedoch vom Finanzministerium abgelehnt und in der Folge versuchten die Wiener Kaufleute sich genossenschaftlich zu organisieren – vor allem im Einkauf und in der Werbung – und gemeinschaftlich unter einem „Dach“ aufzutreten.

Das „Erste Wiener Waren- und Kollektivkaufhaus“ von 1910 in der Mariahilfer Straße war solch ein Warenhaus, in dem an die hundert Geschäftsleute eingemietet waren. Die Idee der Warenhausfinanzierung über die Mieteinnahmen (10% der Bruttoeinnahmen des jeweiligen Geschäftes) erwies sich als unrentabel und führte zum Konkurs des Errichters.

Die Aufwärtsbewegung der Warenhäuser hielt bis zum ersten Weltkrieg an, jedoch waren ihre Lagen auf den Innenstadtbereich – und hier im wesentlichen auf die Bereiche Kärntner Straße/Stephansplatz und Mariahilfer Straße – beschränkt.

Der Bedeutungsverlust

Der erste Weltkrieg und die Geldentwertung der Nachkriegszeit führten zum starken Rückgang der begüterten Kundschaft in Wien und die Struktur der Konsums entwickelte sich daher untypisch kleinteilig und konzentriert auf den alltäglichen Massenbedarf.

Die Gemischtwarenhandlung, Bäckerei, Fleischerei und Trafik bildeten den Kern des städtischen Konsums.

Die wenigen Neugründungen von Warenhäusern standen vor allem im Zusammenhang mit dem sozialistischen Arbeiter-Konsumverein. Diese Warenhäuser des GÖC (Großeinkaufsgesellschaft für österreichische Consumvereine) brachten das Warenhaus schließlich in die Vorstadt.

Den letzten großen Schnitt und damit auch der Bedeutungsverlust der Warenhäuser in der Innenstadt brachte der zweite Weltkrieg. Durch die völlige Zerstörung der Warenhäuser Haas, Rothberger I und II, Kranner und Neumann war das Ende dieser Epoche besiegelt.

Chronologie der Warenhäuser